Bedeutender Fremd-Schaden = 1.500 €; MwSt. nur bei tatsächlichem Anfall zu berücksichtigen (LG Offenburg, Beschluss v. 19.06.2017 - 3 Qs 31/17)
Das Landgericht Offenburg hielt es in dieser Entscheidung im Jahr 2017 für erforderlich, die Grenze für den "bedeutenden Schaden" von ehemals 1.300 € auf nun 1.500 € anzupassen.
Dabei seien nur solche Schadenspositionen zu berücksichtigen, die auch zivilrechtlich erstattungsfähig seien. Mehrwertsteuer sei daher nur berücksichtigungsfähig, wenn sie auch anfalle und ein Geschädigter nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 09.03.2017, Az. 1 Cs 207 Js 2768/17, über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis,
aufgehoben.
2. Die Staatskasse trägt die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe:
I.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Offenburg vom 10.03.2017, Az. 1 Cs 207 Js 2768/17, wurde gegen den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verhängt, die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Sperre zur Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis für die Dauer von 7 Monaten erteilt. Ihm wird vorgeworfen, am 14.12.2016 gegen 19:30 Uhr mit dem PKW … auf dem Parkplatz des Fitness-Centers pp. in pp. in Offenburg beim Ausparken aus einer Parklücke gegen den PKW pp. der Geschädigten pp. gefahren zu sein und dadurch einen Fremdschaden in Höhe von 4.000 Euro verursacht zu haben. In der Folge habe er, obwohl er den Unfall bemerkt und erkannt bzw. damit gerechnet habe, dass eine nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden sei, die Unfallstelle verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 09.03.2017 wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen.
Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte Einspruch, gegen den vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt die Verteidigung aus:
Der Angeklagte habe ohne Vorsatz gehandelt. Er habe lediglich einen hinter ihm parkenden weißen Lieferwagen im Blick gehabt. Beim rückwärts Fahren habe er ein Geräusch gehört und befürchtet, er sei gegen diesen Lieferwagen gefahren. Daraufhin sei er mit einem seiner drei mit ihm befindlichen Freunde ausgestiegen und habe an dem Lieferwagen nach einem Schaden gesehen. Da man keinen Schaden entdeckt habe, sei man weitergefahren. Ein BMW habe nicht hinter seinem Fahrzeug gestanden, er sei auch nicht in die Nähe eines BMW gekommen. Zudem seien keine Ermittlungen zu den entstandenen Schäden und ihrer Ursache gemacht worden, es sei auch nicht ermittelt worden, ob der BMW sich überhaupt in der Fahrlinie des Angeklagten befunden hätte. Die Schadenshöhe sei mangels Kostenvoranschlag auch nicht nachvollziehbar. Zudem sei das Datum auf der Vernehmung nicht nachvollziehbar.
Das Amtsgericht Offenburg half der Beschwerde nicht ab. Die neue Darstellung widerspreche der Darstellung des Angeklagten in seiner Vernehmung vom 04.02.2017. Die Datumsangabe „30.01.2017“ scheine ein Schreibfehler zu sein. Das Unfallgeschehen sei nach Angaben der Polizei durch einen unbeteiligten Unfallzeugen beobachtet worden.
Nach Vorlage ordnete das Beschwerdegericht weitere Ermittlungen an. Hierbei wurde insbesondere die beiden unfallunbeteiligten Zeugen … vernommen sowie die drei Freunde des Angeklagten, die sich mit ihm im Auto befunden hatten. Zudem wurde ein Haftpflichtschadengutachten der … eingeholt, wonach die Reparaturkosten sich auf 1.121,84 Euro ohne Mehrwertsteuer, inklusive Mehrwertsteuer auf 1.334,99 Euro und zudem eine merkantile Wertminderung in Höhe von 200 Euro bestehe.
Hierauf erhielt die Verteidigung erneut Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie führte aus, dass die Zeugenangaben völlig widersprüchlich seien. Es sei auch nicht festgestellt, dass die Schäden am BMW und dem Fahrzeug des Angeklagten korrespondierten. Von einer vorsätzlichen Begehung könne derzeit nicht ausgegangen werden. Es sei auch lediglich von einer Schadenshöhe von 1.121,84 Euro auszugehen, da eine Vorsteuerabzugsberechtigung bestehe und eine Wertminderung nicht berücksichtigungsfähig sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen des § 111a StPO liegen nicht vor. Gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 69 des Strafgesetzbuches). Das ist dann der Fall, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihm daher die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entziehen wird (vgl. Meyer-Goßner, 60. Auflage 2017, § 111a Rdnr. 2).
Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht eine solche hohe Wahrscheinlichkeit nicht. Zwar bestehen dringende Gründe, dass der Angeklagte des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig ist, da er wahrscheinlich aufgrund der Aussagen der beiden unbeteiligten Zeugen sowohl hinsichtlich des Unfalls als auch hinsichtlich eines vorsätzlichen sich Entfernens überführt werden kann. Entgegen der Ansicht der Verteidigung wird sich darüber hinaus anhand dieser Zeugenaussagen mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, dass der auf den Lichtbildern festgehaltene Schaden am BMW durch den Angeklagten verursacht wurde. Allerdings liegen weder die Voraussetzungen des Regelfalles des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB (dazu 1.) noch liegen beim Angeklagten aus anderen Gründen geistige, körperliche oder charakterliche Mängel vor, die eine Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen (dazu 2. ).
1.Gemäߧ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142) ist und der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. Ob ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien. Die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden wird in der herrschenden Kommentarliteratur und auch in der obergerichtflehen Rechtsprechung auf 1.300 Euro festgesetzt (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 69 StGB Rdnr. 29; Geppert in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Auflage 2007, § 69, Rn. 85 „Schäden ab 1.300 Euro (tendenziell wachsend)“; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 69 Rdnr. 39; OLG Hamm. Beschluss vom 06.11.2014 – 5 RVs 98/14 -, Rdnr 23, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2013-3 Ws 225/13 -. juris, Rdnr. 6; OLG Hamburg, Beschluss vom 08. März 2007-2 Ws 43/07 -, Rdnr. 19, juris). Andererseits befindet sich in der aktuellen untergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung im Vordringen, die Wertgrenze auf 1.500 Euro festzusetzen (vgl. LG Braunschwelg, Beschluss vom 03. Juni 2016-8 Qs 113/16-. juris, Rdnr. 15; LG Lübeck, Beschluss vom 14. März 2014- 4 Qs 60/14 -, juris, Rdnr. 2; AG Tiergarten, Beschluss vom 15. Mai 2015-288 Gs 48/15-. Rdnr. 5, juris).
Dieser Ansicht schließt sich die Kammer mit Blick darauf, dass die allgemein anerkannte Wertgrenze von 1.300 Euro seit dem Jahr 2002 allgemein gelten dürfte (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 29), an.
In der Kommentarliteratur ist anerkannt, dass der „bedeutende Schaden“ von der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. der allgemeinen Geldentwicklung abhängt (vgl. Fischer, a.a.O ., Rdnr. 28; Stree/Kinzig, a.a.O; Geppert, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerungsrate für sämtliche Verbrauchsgüter ist es sachgerecht, die Wertgrenze nach nunmehr 15 Jahren ohne Veränderung anzuheben. Denn auch in der Vergangenheit wurden die Wertgrenzen in der Rechtsprechung der Obergerichte regelmäßig angehoben. So sah das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 1977 einen Schaden in Höhe von 600 DM noch nicht als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB an (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Junl1977- 2 Ss 162/77-, juris), setzten das Oberlandesgericht Frankfurt im Jahr 1982 die Wertgrenze für seinen Bezirk auf 1.300 DM (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01. Februar 1982-2 Ss 555/81 -, juris) und das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 1991 für seinen Bezirk auf 1.800 DM (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 1991-2 Ss 1/91 -3/91 III-, juris ), während Stimmen in der Literatur bis ins Jahr 2002 von einer Wertgrenze von 2.000 DM ausgingen (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 69 Rdnr. 29, m. w. N.). Auch das Oberlandesgericht Köln etwa erhöhte die Wertgrenze für seinen Bezirk zwischen den Jahren 1991 und 2002 von 1.225 DM auf 2.000 DM (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 05. November 1991 – Ss 495/91 – 257 -. juris: 1.225 DM; OLG Köln, Beschluss vom 12. März 2002- Ss 54/02-. juris: 2.000 DM).
Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, die Wertgrenze im Landgerichtsbezirk Offenburg nach nunmehr 15 Jahren zu erhöhen. Um die Höhe des neuen Grenzwertes zu bestimmen, ist die prozentuale Erhöhung des durchschnittlichen Verbraucherpreisindex vom Jahr 2002 (88,6) bis zum Jahr 2016 (107,4) zu ermitteln (vgl. zu den Durchschnittswerten der Verbraucherpreisindizes die Internetseite des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/PreiseVerbraucherpreisindizes/Tabellen_/VerbraucherpreiseKategorien.html). Der Verbraucherpreisindex hat sich vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2016 um 21,22 % ((107,4- 88,6) : 88,6) erhöht. Unter Berücksichtigung dieser Teuerungsrate errechnet sich ein Wert von exakt 1.575,85 Euro für das Jahr 2016. Es ist daher angemessen, den für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB maßgeblichen Grenzwert ab dem Jahr 2017 auf zumindest 1.500 Euro festzusetzen (vgl. zum Ganzen auch: LG Braunschweig, a.a.O.).
Bei der Bestimmung der konkreten Schadenshöhe ist der Betrag maßgeblich, um den das Vermögen des Geschädigten unmittelbar infolge des Unfalls gemindert ist. Unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts (Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtliehen Ansprüche bzw. Schutz vor unberechtigten Ansprüchen) dürfen im Rahmen des zugrundeliegenden wirtschaftlichen Schadensbegriffes nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm, a.a.O}. Zu berücksichtigen sind daher die Reparaturkosten, Bergungs- und Abschleppkosten sowie der merkantile Minderwert (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 28; Stree/Kinzig a.a.O.).
Die Mehrwertsteuer bezüglich der Reparaturkosten ist hingegen nur dann berücksichtigungsfähig, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, vgl. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugberechtigt ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände beläuft sich der für die Frage eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähige Schaden daher nach dem Haftpflichtschadengutachten der Generali Versicherung AG vom 20.03.2017 auf insgesamt 1.321,84 Euro. Dies entspricht den Reparaturkosten ohne Berücksichtigung der Mehrwertsteuer zuzüglich des merkantilen Minderwerts in Höhe von 200 Euro. Die Reparaturkosten und der merkantile Minderwert waren zu berücksichtigen, da der Angeklagte anhand der objektiven Umstände hätte erkennen können, dass diese Schadenspositionen entstanden sind.
Die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % war hingegen nicht zu berücksichtigen, da angesichts der Unternehmereigenschaft und damit Vorsteuerabzugsberechtigung der Fahrzeughallerin nahe liegt, dass bei einer etwaigen (im Übrigen auch nach derzeitigem Stand der Ermittlungen nicht feststellbaren) Reparatur die Mehrwertsteuer in Höhe von 19% nicht anfällt.
Angesichts der für den Landgerichtsbezirk Offenburg geltenden Wertgrenze von 1.500 Euro liegt daher noch kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor.
2. Es lassen sich nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen auch keine geistigen, körperlichen oder charakterlichen Mängel beim Angeklagten feststellen, aufgrund derer er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet wäre. Daher liegen auch die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.